Kreis
Borken/Diözese Münster (cpm).
Es gibt sie doch: Junge
Wohnungslose im Kreis Borken und in diesem ländlichen Raum wohl nicht unbedingt
weniger als im städtischen Ballungsgebiet, wo man sie eher vermutet hätte.
Davon hat Eva Busch Skeptiker mit ersten Ergebnissen aus dem Projekt
WohnPerspektiven schon überzeugen können. Offensichtlich steigt ihre Zahl
gerade in den letzten Jahren deutlich an, wie die im St.
Antoniusheim
in Vreden stationierte Sozialarbeiterin bei ihrer Recherche erfahren hat.
Es gibt auch sehr
viele Hilfen für sie, aber die wissen bislang wenig voneinander und arbeiten
deshalb eher wirkungslos nebeneinander her. Vor allem zwischen 18 und 21 Jahren
empfiehlt es sich nicht, die Wohnung zu verlieren, denn da fühlt sich wegen
Lücken in den Gesetzen kein Kostenträger zuständig. "Bis 18 werden alle
flott", sagt Busch und nach 21 bietet unter anderem das
Antoniusheim
ein Dach über dem Kopf und Hilfe. Das beim
Diözesancaritasverband Münster angesiedelte und vom Land geförderte Projekt
WohnPerspektiven will hier keine neuen Hilfen schaffen, aber die vorhandenen
vernetzen und das Zuständigkeitsgefühl fördern. In den Kreisen Borken, Kleve
und Wesel ist dafür in einem ersten Schritt die Ist-Situation analysiert
worden.
Gesicherte
statistische Zahlen zu erheben, ist allerdings naturgemäß unmöglich.
Insbesondere die jungen Wohnungslosen leben kaum auf der Straße, sondern
schlagen sich durch, in dem sie mal hier, mal da vorübergehend bei Bekannten
oder Verwandten unterkommen. Sie fallen auch nicht im Straßenbild auf. Um das
zu vermeiden, legen sie besonderen Wert auf eine gepflegte Erscheinung, hat
Busch gelernt. Aber sie hat eine Reihe von Indizien gefunden: Das Evangelische
Lukas-Krankenhaus in Gronau hat nicht mehr junge Erwachsene behandelt, aber
seit 2006 ist "die Zahl der Patienten unter 27 mit Wohnungsproblemen von
einem auf 29 in 2010 gestiegen", nennt Eva Busch ein Beispiel. Auch der
Verein Dach über dem Kopf in Borken sieht eine Steigerung von zwei auf 17
innerhalb der letzten elf Jahre.
Die Liste der
möglichen Ursachen ist lang und meist kommen mehrere zusammen. Besonders häufig
werden Konflikte und Gewalt in der Familie oder Beziehung genannt. Abhängigkeit
von Cannabis und Pillen sowie psychische Probleme
folgen. Der Verlust der Wohnung steht meist
am Ende einer langen Kette. Für jedes dieser Probleme gibt es an sich genügend
Hilfe. Bei der Recherche im Internet hat Busch 300 Adressen im Kreis Borken
gefunden, die mögliche Anlaufstellen sind. Das reicht von den Notunterkünften
über die Bewährungshilfe und die Betreuungsvereine bis zu Schuldner- und
Suchtberatung oder dem Berufsorientierungszentrum in Ahaus.
Aber durch die
Vielfalt der Probleme, die die Einzelnen mitbringen, "liegen sie quer zu
den Diensten", erklärt Eva Busch. Dazu kommt eben die Altersproblematik.
Bis 18 hilft das Jugendamt, ab 21 bezahlt der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe gegebenenfalls eine stationäre Unterbringung im St.
Antoniusheim
, das wie die Schwestereinrichtung in Maria
Veen zum Verein für katholische Arbeiterkolonien in Westfalen gehört.
Dazwischen herrscht Streit über die Zuständigkeit, weil junge Wohnungslose in
keinem Sozialgesetzbuch so richtig vorgesehen sind.
Eine weitere
Erkenntnis: Die jungen Wohnungslosen sind zwar schwer zu erfassen, weil sie
umherziehen, aber sie tun das nur in einem sehr begrenzten Raum. "Wenn
einer in Bocholt geboren ist, geht er höchstens bis
Rhede
",
hat Busch erfahren. Da nutzt es nichts, wenn die Frauenschutzwohnung in Gronau
liegt. Wenig hilfreich sei es auch, wenn ein Ordnungsamt in seiner
Hilflosigkeit einfach eine Liste
mit
Wohnungsangeboten aushändige in der Hoffnung, dass der Hilfesuchende nicht
wiederkomme.
Sollen die vielen
Hilfen die jungen Wohnungslosen erreichen, die über kein Auto verfügen und sich
in der Regel nicht einmal eine Busfahrkarte leisten können, müssen sie
zusammenarbeiten und in vielen Orten angeboten werden. Auf dem Weg zur
Vernetzung ist Eva Busch durch eine gemeinsame Veranstaltung für die
verschiedenen Akteure im Kreis schon vorangekommen. Sie selbst hat
soviel
Wissen angesammelt, dass sie inzwischen als
"Lotsin" durch das Hilfesystem angefragt wird. Es gebe allerdings
nicht "die eine ideale Hilfe". Aber alle notwendigen gebe es schon.
Sie müssten nur zusammengebracht werden.
Notwendig ist zudem
schnelle Hilfe. "Da kann man nicht lange auf ein Antragsverfahren
warten", sagt die Sozialarbeiterin. Auch wenn junge Wohnungslose bei
Bekannten untergekommen sind, bestehe ein hoher Leidensdruck. Den wollen Eva
Busch und ihre Projektkollegen in den Caritasverbänden Kleve und Moers-Xanten
im nächsten Projektschritt, der "Betroffenenbefragung" näher
erkunden. Sie erhoffen sich davon nicht zuletzt Erkenntnisse, wie die jungen
Wohnungslosen besser erreicht werden können. Möglicherweise können die neuen
sozialen Medien wie
Facebook
genutzt werden. Aber da
fehlt noch das Wissen, ob und in welchem Umfang Zugang zum Internet besteht.
081/2011
22. August 2011