Seit zehn Jahren werden junge Menschen der Kinder- und Jugendhilfe St. Mauritz auf diese Weise eingebunden und ermutigt. Heimleiter Michael Kaiser legt Wert darauf, dass Kinder "Demokratie hautnah erleben und ihre Selbstwirksamkeit entdecken".
Eine Rutsche oder eine Wippe? Die Frage, wie der Spielplatz gestaltet werden sollte, ging nicht nur Michael Kaiser, Leiter der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Mauritz, etwas an. Entscheidend ist, dass es auch den Kindern gefällt. Die Mehrheit wünschte sich eine Möglichkeit zu klettern, äußerte dies über das Sprachrohr ihrer Vertreter im Kinder- und Jugendparlament und so wurde ein passendes Spielgerät angeschafft. Ein gutes Beispiel für den Erfolg der Kinderbeteiligung.
Alle 207 jungen Bewohner aus Kinderheim und Außenwohngruppen der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung zu einem gemeinsamen Austausch einzuladen, wäre wohl kaum möglich. Daher sind es aktuell neun Jungen und Mädchen zwischen neun und dreizehn Jahren, die ihre Wohngemeinschaften vertreten. Mitmachen kann jedes Kind, wenn es wenigstens neun Jahre alt ist "oder schon vernünftig genug", scherzt Immo, Vertreter im Kinder- und Jugendparlament, der heute die Moderation übernimmt.
Eine Sitzung des Kinder- und Jugendparlaments läuft ab wie bei den Großen. Auf der Agenda der 45-minütigen Sitzung stehen zum Beispiel eine Luftballonaktion aus dem vergangenen Sommer oder der heutige Presse-Besuch. Besonders lebendig aber entwickelt sich die Diskussion beim Thema "Ausflug". Zu welcher Attraktion soll es gehen? "Leute, einer nach dem anderen", ruft der zwölfjährige Moderator die jungen Delegierten zur Raison. Der Hinweis von Bereichsleiter Martin Kohnen, dass einige besprochene Möglichkeiten altersbeschränkt seien, führt zu dem Entschluss, erst einmal weitere Informationen einzuholen. Die 13 Jahre alte Frances notiert im Protokoll, wer die Aufgabe übernimmt. Pädagogen der Einrichtung sind bei jeder Sitzung dabei, um die Kinder zu unterstützen aber auch um selbst in den Genuss ihrer guten Ideen zu kommen.
Neben konkreten Anliegen sind es auch grundlegende Fragen, die im Kinder- und Jugendparlament besprochen werden, sagt Martin Kohnen. "Gruppenregeln werden diskutiert, außerdem tauschen wir uns mit den Kindern darüber aus, was aus ihrer Sicht eine gute Mitarbeiterin oder ein guter Mitarbeiter ist - sie geben uns wichtige Hinweise dabei". Noch wesentlichere Fragestellungen wurden im vergangenen Jahr diskutiert. 2018 traf sich die Kindervertretung aus St. Mauritz erstmals mit zwei weiteren Kinder- und Jugendparlamenten aus unterschiedlichen Einrichtungen zu einem Demokratie-Wochenende. "Es ging um das Thema, welche Rechte Kinder haben", erinnert sich Kohnen. Besonders wichtig sei den Kindern ihr Recht auf eine gewaltfreie Erziehung gewesen.
Eine grundlegende Kinderrechtediskussion war vor zehn Jahren Anlass zur Gründung des Kinder- und Jugendparlaments, sagt Einrichtungsleiter Michael Kaiser. Außerdem sei Beteiligung ein wichtiger Bestandteil des traumapädagogischen Konzepts der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Mauritz. "Uns war klar, Beteiligung und Beschwerde müssen den Kindern jederzeit möglich sein". Außerdem wolle die Einrichtung den Kindern durch ihre Mitbestimmung ermöglichen, Selbstwirksamkeit zu erfahren, ergänzt Kohnen: "Wenn die Kinder zu uns kommen, haben sie häufig erlebt, dass über sie bestimmt wurde. Wir wollen sie aus ihrer Ohnmacht herausholen und ihnen zeigen, wie Demokratie funktioniert". Für den zwölf Jahre alten Luca hat die Mitarbeit im Kinder- und Jugendparlament darüber hinaus einen sozialen Aspekt: "Ich setze mich einfach gerne für andere ein".
064-2019 (bü) 18. September 2019